20 Jahre. Erinnerungen und Wünsche

In der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember verstarb 1995 mein Vater im Alter von 55 Jahren. 20 Jahre ist das jetzt her.

Am Lago Laprello. An das Bild kann ich mich gar nicht mehr erinnern, finde aber die Geborgenheit, die es ausstrahlt, wunderbar.

Am Lago Laprello. An das Bild kann ich mich gar nicht mehr erinnern, finde aber die Geborgenheit, die es ausstrahlt, wunderbar.

Das letzte Mal gesehen habe ich ihn am Abend des 14. Die Schmerzmittel waren wohl gerade so  dosiert, dass er normal und klar denken konnte und er nicht allzu viele Schmerzen hatte. Ich weiß noch, dass er sich von mir im Klinikum Aachen verabschiedet hat. Ich weiß noch, welches blöde Trash Buch ich mit hatte (John Saul – Am Strand des Todes), aber ich weiß nicht mehr, was Papa mir sagte. Ich weiß nur noch, dass es mir vollkommen bewusst war, dass ich ihn das letzte Mal gesehen und gedrückt hatte.

Damals war ich 16. Mir ging es selber nicht gut. Zu dem Zeitpunkt hatte ich, so genau weiß ich das nicht mehr, mindestens 2 Jahre Magersucht und Bulimie hinter mir. Mein persönlicher Rekord waren knapp über 50kg bei mehr als 1,80m Größe. Mein Vater war zu diesem Zeitpunkt schon lange chronisch krank, er verstarb an den Folgen eines Muskelschwunds.

Heute, 20 Jahre später, bin ich selber Vater und vermisse meinen Vater mehr, als ich es lange nach seinem Tod getan habe. Ich bin mir sicher, dass ich ein gutes Verhältnis zu ihm hatte:

Früher wie heute… Es war nicht alles anders. Das Kind bin ich… Ich sehe allerdings wen anders.

Früher wie heute… Es war nicht alles anders. Das Kind bin ich… Ich sehe allerdings wen anders.

Mein eigenes Leben wurde lange durch seine Krankheit, die langen Krankenhausaufenthalte, die ewigen Fahrten von Heinsberg nach Aachen überschattet.

Wer war mein Vater? Er war ein Mensch der Arbeiterklasse, nach Grundschule quasi direkt weiter auf die Arbeit. Dabei war er hochintelligent, aber die Gesellschaft war weniger durchlässig als heute. Er arbeitete sein Leben lang bei Glanzstoff, ENKA, Akzo.

Fast sein ganzes, erwachsenes Leben hat er Nachtschicht gearbeitet. Nicht Wechselschicht, Nachtschicht. Daran kann ich mich gut erinnern: „Du musst still spielen, Papa schläft.“

Zwangsweise eine ganz andere Art Vaterschaft, als das, was ich versuche, meinen Kindern zu bieten.

Früher habe ich es nicht verstanden, wenn Papa darauf bestand, in meinem Zimmer Radio zu hören (ich hatte eine moderne Musikanlage, meine Eltern ein Dingen, das zwar groß war, aber nur miserablen Radioempfang), heute denke ich, dass es seine Art war, Nähe zu suchen.

Ich kann mich an wunderbare Radtouren an einigen Wochenende oder schichtfreien Tagen erinnern.

An den Moment des Bildes, an den Ort und die Tour erinnere ich mich noch sehr gut. Bin heute noch gerne da.

An den Moment des Bildes, an den Ort und die Tour erinnere ich mich noch sehr gut. Bin heute noch gerne da.

Fahrrad gefahren ist Papa gerne, solange es noch ging:Bei Schloss Elsum

An derselben Stelle machte ich vor ein paar Monaten ein Foto. Und das letzte Fahrrad, das er besessen hat, restaurierte ich in diesem Sommer.

Ich erinnere mich an die Kopfrechenaufgaben, die er und ich so liebten… Morgens, an der jeweils umgekehrten Grenze zwischen Tag und Nacht im Bett zu lösen.

An seinen Stolz auf sich, wenn er mal eine Kleinigkeit zu essen, meistens Ei mit Toast, gemacht hatte. An seinen Stolz auf mich, als meine Noten beständig sehr gut waren.

Ich erinnere mich an den blauen Dunst, der ihn ständig umgab, zu Hause, auf dem Fahrrad und natürlich im Auto.

Als er einmal vollkommen ausgerastet ist, als meine Mutter und ich uns dagegen im Auto verwehrt hatten.

Ausgerastet ist er nur selten, dann aber richtig. Schlagen, bzw. Ohrfeigen, wollte er mich nur einmal. Da war ich allerdings schon deutlich älter… Mindestens 13 oder 14. Den Anlass weiß ich nicht mehr, es endete in Tränen, auf beiden Seiten. Ich hielt seinen Arm fest, sehr fest und meine Hand hinterließ 5 blutige Fingerabdrücke. Papas Haut war von den Unmengen Kortison dünn wie Papier.

Ich vermisse meinen Vater. Er hat versucht, mir mit seinen Mittel die Welt zu zeigen. Die Welt, die man in Büchern erleben kann und die kleine Welt, die wir uns in der Freizeit und im Urlaub erfahren und erwandern konnten.

Ich glaube, das war in Posterholt, dort gab es Autorennen, die ich ganz spannend fand.

Ich glaube, das war in Posterholt, dort gab es Autorennen, die ich ganz spannend fand.

Papa hat an mich geglaubt, als ich unbedingt aufs Gymnasium wollte. Er blieb gelassen, wenn andere sich aufregten. Er hat gelitten, als ich mich gequält habe. Er war immer da, auf seine Art.

Manchmal hatte ich Angst vor ihm. Seine Meinung, mein Ansehen bei ihm war mir immer wichtig. Ich hatte Angst, zu enttäuschen.

Mein Vater war kein Vater, wie man ihn sich heute in einer Welt, die zum Glück nach Gleichberechtigung und paritätisch verteilten Elternrollen strebt, wünscht. Aber er war mein Vater. Vielleicht habe ich zu lange gebraucht, um zu verstehen, was er mir mitgegeben hat, aber mittlerweile habe ich es gefunden. Er war da, auch wenn ich es oft nicht sehen wollte:Wurzeln und Flügel

Papa hat zugehört und hingeschaut:Zuhören und hinschauen

Heute bin ich mir sicher, dass ich ihn nicht enttäuscht habe und Angst unbegründet war. Er wäre so stolz auf seine wunderbaren Enkel. Ich bin mit meinem Vater im Reinen, aber ich würde alles darum geben, dass er meine Söhne kennenlernen dürfte.

Ich bin glücklich, dass meine Frau und ich in einer Welt leben, in der wir beide für unsere Kinder dasein können und ich bin froh, dazu sein. Ich bin stolz, eine Familie zu haben. Ich bin glücklich über die zwei kleinen Nervensägen. Wenn ich ihnen etwas von mir mitgeben kann, dann das sichere Gefühl, dass beide Eltern für sie da sind.

Dieses Bild ist laut handschriftlichem Datum von 1985:

Einer der ersten längeren Krankenhausaufenthalte meines Vaters.

Einer der ersten längeren Krankenhausaufenthalte meines Vaters.

Ich bin auf diesem Bild 6 Jahre alt. Das Bild entstand beim ersten, längerem Klinikaufenthalt von Papa. Unsere Zeit ist zu kostbar, darüber zu lamentieren, das Kinder manchmal anstrengend sind. Ich wünsche mir, dass ich die Gelegenheit und die Zeit haben werde, Vorbild und Hilfe für meine Kinder zu sein, solange sie beides brauchen und nicht, solange ich kann.

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