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Freie Zeit in der Freizeit

Der letzte Post von mir (Michael) auf unserem Familienblog liegt nun schon eine ganze Weile zurück und es hat verschiedene Gründe.

Wir hatten ein sehr stressiges, erstes Schuljahr. Unser älterer Sohn wurde aus guten Gründen frühzeitig eingeschult und hat das ganze Jahr fachlich sehr gut gemeistert. Vieles andere lief aus vielen Gründen chaotisch bis schlecht ab. Ohne jemandem eine Schuld zuweisen zu wollen: In einer mehr und mehr individuellen Gesellschaft ist es 2016 immer noch schwierig oder schwieriger denn je, auf individuelle Bedürfnisse eines jungen Menschen Rücksicht zu nehmen und ihn als eigene Person wahrzunehmen anstatt ihn in der einen oder anderen Weise zu pathologisieren.

Mit Beginn des zweiten Schuljahres hat sich viel geändert und bereits nach 2 Monaten ist mir eine große Last, die mich das vergangene Jahr gequält hat, von den Schultern gefallen. Nicht, dass meine Sorgen ganz verschwunden sind, aber es geht erheblich besser.

Der Gedanke, diese Gedanken regelmässig öffentlich aufzuschreiben ist mir tatsächlich nie gekommen. Zum Glück sind wir nicht darauf angewiesen, unser Familienblog und damit auch das Familienleben zu monetarisieren, aber es erschreckt mich sehr, in welchem Maße das mittlerweile durchgeführt wird. Ich gönne jeder Familie den Gewinn, möchte aber selber den Preis dafür nicht bezahlen.

Leistungsgesellschaft gibt es auch in den Ferien.

Einige Male hat meine Frau ja auch schon von schönen Urlauben hier berichtet. Gerade sind in NRW die Herbstferien vorbei, wir alle hatten eine Woche Urlaub und wir haben… „Nichts“ gemacht. Ganz bewusst die Woche ins blaue gestartet. Wir hatten ein paar Ideen, was wir machen wollten, aber keine wirkliche Planung.

Schlussendlich haben wir es dann geschafft, einen Tag mit dem Zug nach Köln zu fahren, den Dom zu besichten und das „Maus Musseum“ zu besuchen und an einem anderen Tag endlich einmal unsere Phantasialand Gutscheine einzulösen.

Darüber hinaus waren wir Spazieren, haben Kekse gebacken, gelesen, gegammelt… Nichts gemacht. Entschleunigt.

Während wir oft von Bekannten oder Freunden hören, dass ihre Kinder eine durchgehende „Bespaßung“ auch in den Ferien einfordern, erleben wir, dass unsere Kinder sehr positiv auf „Langeweile“ reagieren. Sie beschäftigen sich auf vielfältige Weise, mit Spielzeug, Medien und sich selber.

Ich bin froh, dass wir diesen Herbst unsere freie Zeit zu Hause verbracht haben. Es reicht mir vollkommen, wenn sich beide Eltern teilweise verausgaben. Sei es, weil es die Terminplanung mit Arbeit, Schule und Kindergarten nicht anders hergibt oder weil man es selber nie anders gelernt hat.

Für mehr freie Zeit in der Freizeit.

Entschleunigung

„Entschleunigung“ ist ein ein ziemlich ausgelutschtes Wort und wer mich kennt, weiß, dass ich in der Regel viel zu wenig Zeit habe, für all die Dinge, die mir täglich in den Kopf kommen. Nicht nur, dass ich ständig irgendwelche Ideen für Software habe, die ich unbedingt umsetzen muss, ich fahre auch noch gerne Fahrrad und insbesondere möchte ich Zeit mit meinen Jungens und meiner Frau verbringen.

Dazu kommen mindestens 40 Stunden Arbeit in der Woche, in der Regel mehr.

Mir kommt da in den letzten Wochen oftmals der Text eines neuen Liedes von Farin Urlaub, nämlich 3000 in den Sinn:

Ich hab nen neuen Anzug, neues Auto – und die alten Probleme
wie gut, daß ich Tabletten nehme
Überlebensstrategien für das dritte Jahrtausend

Farin Urlaub Racing Team – 3000

Wir möchten, dass unsere Kinder entsprechende Überlebensstrategien an die Hand bekommen und zwar nicht in Form von Tabletten.

Ich habe sicherlich 2, 3 Jahre gebraucht, zu verstehen, dass Förderung nicht gleich Forderung und Überförderung ist. Unser Großer geht seitdem er 1 Jahr alt ist in eine Kindertagesstätte bzw. seitdem er 2 ist, in einen regulären Kindergarten. Anfangs dachte ich noch, dass es wichtig ist, verschiedene Aktivitäten und Programme zusätzlich anzubieten, sei es alle möglichen Krabbelgruppen, Turnen, Schwimmen, Musik, was weiß ich.

Wir haben das relativ schnell sein gelassen und dabei festgestellt, dass es uns allen, insbesondere seitdem wir zu viert sind, besser geht. Wenn ich mir alleine für mich vorstelle, dass ich jeden Tag zusätzlich zur Arbeit noch Pflichttermine hätte, wird mir übel. Ohne Pause das Tempo hochhalten, jede Minute Input… So funktioniere ich nicht und ich glaube, dass Kinder so auch nicht funktionieren.

Der Große kann auch ohne Turngruppe wunderbar bis in die Wipfel von Bäumen klettern, er kann auch ohne mathematisch Frühförderung die Zahlen bis ca. 20 (und zwar auch addieren, sowas lernt man halt, wenn man ab und zu mal selber bezahlen darf) und viele andere Dinge mehr.

Ganz nebenbei fällt dann auch mehr Freizeit ab. Mehr Zeit, um einfach zu Hause zu sein und Zeugs oder auch mal nichts zu machen. Sich zu langweilen.

Damit finde ich zum Anfang zurück. Früher habe ich immer ganz gerne von mir gesagt, dass ich nicht wüsste, was Langeweile ist. Mittlerweile nehme ich das zurück. Die korrekte Aussage müsste lauten: Ich kann mich nicht langweilen, ich ertrage es nicht, einfach nur mal nichts zu machen. Dabei ist genau das extrem wichtig, für Erwachsen und gerade auch für Kinder.

Warum ich diesen Text zu Beginn der Weihnachtszeit schreibe? Weil Anfang Dezember für mich der schlimmste Monat im Jahr ist, insbesondere, seitdem die Kinder da sind. Die wöchentlichen oder gar täglichen Termine häufen sich, es fängt mit dem Geburtstag vom Großen an, geht nahtlos in Nikolaus, diverse Weihnachtsfeiern und Weihnachtsvorbereitung, Weihnachtsbesuchen etc. über. Seit 5 Jahren bekommen wir regelmäßig die Quittung dafür: Spätestens in der zweiten Dezemberwoche sind wir alle krank: Aufregung, Stress und wenig Zeit, einfach Familie sein zu können tun zusammen mit Wetterumschwung und der Dunkelzeit ihr Werk.

Aktueller Stand: Ich habe Ohr, die Frau Ohr und Nase, die Kinder beide Hals (Mittelohrentzündung, Schnupfen, Husten).

Ich freue mich jetzt schon darauf, spätestens mit dem 2. Weihnachtstag mit meiner Familie irgendwo zu Hause zu sitzen und einfach nichts zu machen: